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Rundbrief August 2020

Der Weg aus dem Traum

Margarethe Randow-Tesch

Eine Publizistin schrieb einmal über Fotographie: »Die Fotographie impliziert, dass wir über die Welt Bescheid wissen, wenn wir sie so hinnehmen, wie die Kamera sie aufnimmt. Dies ist aber das Gegenteil von Verstehen, das damit beginnt, dass die Welt nicht so hingenommen wird, wie sie sich dem Betrachter darbietet.« (Susan Sonntag, SZ v. 24./25.5.2014)

Dieser Satz, der aus der Sicht des Kurses für die gesamte Funktion unserer Sinne gilt, enthält im Keim die Einsicht, dass das, was die Augen uns zeigen, pure Oberfläche ist und einem tieferen Verstehen der Dinge entgegensteht. In der Tat geht die Aussage des Kurses, dass es keine Welt gibt, in diese Richtung und weit darüber hinaus – ein Verständnis, das umfassend erst am Ende eines tiefgreifenden inneren Erkenntnisprozesses stehen kann. Raum, Zeit und Körper sind, wie beispielsweise in Lektion 14 und 15 ausgeführt wird, nicht konkret vorhanden, sondern ein projizierter Geisteszustand oder, anders ausgedrückt, Gedanken, die in Form von Bildern erscheinen (Ü-I.15). Anders als wir vielleicht meinen, ist uns dieses Phänomen sehr wohl vertraut – aus unseren nächtlichen Träumen. Denn nichts anderes ist das Wesen des Traums: Gedanken, die in Form von realistischen Bildern erscheinen.

Auch wenn wir die Aussage des Kurses, dass die Welt unser kollektiver und individueller Traum ist, vielleicht intellektuell als interessantes Gedankenspiel akzeptieren, so zeigen die Wahrnehmungen und Emotionen, die wir im Alltag im Hinblick auf Menschen, Ereignisse und uns selbst haben, doch überwiegend, wie wenig wir das glauben können bzw. wollen. Es gibt eine überwältigende Erfahrung des Hierseins, die uns im Griff hat. Aus der Sicht des Kurses investieren wir unbewusst in sie (T-20.VIII.7). Es ist, als würde etwas in uns sagen: »Nimm mir nicht meinen Traum, in dem ich die tragische oder erfolgreiche Heldin/der Held bin und mich auskenne. Es ist mein Traum. Wage nicht, ihn zu stören.«

Der Traum wird uns auch nicht genommen, sondern – vorausgesetzt, wir stimmen zu – in eine Schule verwandelt, in der wir in vielfältigsten Formen die eine Lektion lernen, dass es keinen Frieden außer dem Frieden Gottes gibt, und dieser ist bereits in uns da und unabhängig vom Äußeren. Unsere Investition in den Traum hindert uns, das zu erkennen. Diese Investition in den Traum des Ego erleben wir als Körper, sprich als Mensch. Wir erleben sie an unseren in der menschlichen Perspektive angesiedelten Geschichten, Erklärungen, Urteilen, Emotionen und Empfindungen, lustvoll oder schmerzvoll. Auch in Phasen, die wir als problematisch und schmerzhaft beklagen, gibt es irgendwo eine tief vergrabene Loyalität dem Traum gegenüber, einen unmerklichen Hauch von Triumph und Rechthaben hinter der scheinbaren Ohnmacht. Aus der menschlichen Perspektive ist das nicht zu verstehen. Es ergibt Sinn, wenn wir begreifen, dass Lust und Schmerz (Euphorie und Depression) die beiden Komponenten des Selbstbildes der Besonderheit sind, das im Zentrum unseres Traums steht. Sie wechseln einander permanent ab, manchmal sekündlich. Sie dienen demselben Zweck und sind daher dasselbe: Sie machen das besondere Selbst wahr und definieren uns als bedürftige Körper, in ständiger Unruhe und Konflikt, ohne Chance, je konstanten Frieden zu finden.

Wie im Kurs gleich zu Anfang gesagt wird (T-2.IV3:10-11), ist es weder sinnvoll noch notwendig, den Körper und unsere schwierigen Beziehungserfahrungen in der Welt zu verleugnen. Ganz im Gegenteil. Wie könnte das, was aus der Quelle des Ego stammt, nicht schwierig sein, ist es doch gemacht als Zeugnis für Angst in allen ihren Spielarten: von Hass über Euphorie bis hin zur Vergänglichkeit? Bei aller gebotenen Bodenhaftung und Ehrlichkeit in dieser Hinsicht ist es jedoch zwingend notwendig, über das hinauszugehen, was die Sinne zeigen und es als Weg der Erkenntnis zu nutzen. Die kleine Bereitwilligkeit im Alltag könnte heißen: »Lass mich erkennen, dass nicht der Traum des Ego mich unfrei macht, sondern meine fortgesetzte Investition, seinen schmerzhaften Seiten zu entrinnen und seinen Heilsversprechen zu glauben.«

Diese unbewusste Bitte hat den Kurs in unser Leben gebracht. Nun ist es wichtig, den Kurs nicht in den Dienst fortgesetzter Illusionen von einem schöneren Traum und einem glücklicheren Traumselbst zu stellen, sondern unsere Illusionen durch den Kurs stören zu lassen. Frieden, Größe und Unschuld sind Aspekte des Geistes, unerschütterbar, voll und ganz da, hinter all unseren Träumen. Wir können sie nicht erjagen, anderen entreißen, imitieren oder ungeduldig herbeimeditieren. Sie sind da und warten auf unsere Einladung. In den Augenblicken, in denen wir die Investition fallen lassen, wie die Dinge im Traum zu sein haben, damit wir glücklich sein können, und stattdessen unseren Traum als unseren speziellen Weg aus dem Traum akzeptieren, sehen wir die Dinge in einem neuen Licht: nicht als Zumutungen des Schicksals oder Belohnungen des Glücks, sondern schlicht und ergreifend als Mittel zum alleinigen Zweck des Lernens und der Erkenntnis. Damit entfallen alle Vergleiche und Rangordnungen. Diese gleichmäßige Sicht auf unser Leben ist das, was im Kurs ein Wunder genannt wird. Das Wunder ist nicht eine spektakuläre Wendung im Äußeren, es ist auch kein euphorischer Zustand im Innern. Es ist die Sicht auf unser Leben als Weg zum Frieden, indem wir Illusionen durchdringen.

Was bedeuten solche Überlegungen für unser Dasein hier? Sobald wir bei dem stehen bleiben, was unsere Sinne uns zeigen, haben wir Angst – Kampf, Verurteilung, Vergleich und Ärger – eingeladen und übersehen, dass der konstruktive Zweck unseres scheinbaren Hierseins darin besteht, uns nicht zu Zeugen der Schuld zu machen. Für Schuld Zeugnis abzulegen ist in der Tat die allergrößte Versuchung in der Welt, denn dafür wurde die Welt gemacht. Es ist nicht möglich, mit allen Menschen dieselben Wege, Ansichten, Werte, Ziele oder dasselbe Verhalten zu teilen. Es ist auch nicht notwendig. Die Welt ist als Traum des Unterschieds gemacht, und Unterschiede in der Form zu verleugnen ergibt wenig Sinn. Es gibt indessen ein Anliegen im Leben eines jeden, das weit über die Welt und den Körper hinausweist: die Heilung des Geistes von dem quälenden Irrtum, er sei auf ewig zur Schuld und Unwürdigkeit verdammt. In diesem unbewussten Anliegen sind wir alle verbunden. Diesen Ton hinter jeder Art von Verhalten sollten wir – um unserer eigenen Freiheit willen – zunehmend besser hören und in niemandem verstärken, selbst wenn wir im Verhalten ein Nein setzen. So wird der Körper zu einem Kommunikationsmittel im Dienste der Befreiung.

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