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Lichtblick Nr. 23 (Dezember 2018)

Amor Fati - Das Schicksal lieben - Die Geburt der Dankbarkeit

Kenneth Wapnick

Im Laufe der Jahre habe ich verschiedentlich über die platonischen und neuplatonischen Vorläufer von Ein Kurs in Wundern gesprochen und geschrieben. Im vorliegenden Artikel werde ich die Reihe dieser philosophischen Vorläufer um die antiken Schulen der Stoiker erweitern und deutlich machen, wie sich diese erstaunlich modernen Prinzipien im Kurs widerspiegeln. Insbesondere möchte ich darlegen, auf welche Weise sich die stoischen Lehren auf die Anforderungen unseres Alltags anwenden lassen, ähnlich wie ich es mir in meinen anderen Schriften zum Anliegen gemacht habe, die praktische Anwendung der fundamental nichtdualistischen Kursprinzipien aufzuzeigen.

Zu Beginn sei angemerkt, dass die Philosophie des Stoizismus negativ verzerrt worden ist, indem man den Begriff im populären Sprachgebrauch mit einem Menschen gleichsetzt, der auf beinahe gefühllose und kalte Art Schmerz ertragen kann. Die griechischen und römischen Wurzeln des Stoizismus sind allerdings völlig andere und spiegeln den Inhalt, der auch dem bekannten Satz aus dem Kurs zugrunde liegt: »Suche deshalb nicht, die Welt zu ändern, sondern entscheide dich, dein Denken über die Welt zu ändern« (T-21.Einl.1:7). Kurz gesagt, lauten die Kernthesen des Stoizismus, dass sich Tugend und Glück (was für die Griechen praktisch Synonyme waren) nur durch das Akzeptieren des Nicht-in-unserer-Macht-Liegenden erreichen lassen oder, um den Kurs zu zitieren, dadurch, dass wir nicht länger glauben, wir seien »in der Gewalt von Dingen jenseits von [uns], von Kräften, die [wir] nicht kontrollieren [können], und von Gedanken, die [uns] gegen [unseren] Willen kommen« (T-19.IV.D.7:4).

Der Stoizismus geht auf Zenon zurück (334–262 v. Chr.), der in der Säulenhalle (griechisch: stoa) der Agora, des Marktplatzes von Athen, lehrte. Zwei seiner größten Vertreter waren der freigelassene griechische Sklave Epiktet (55–135 n. Chr.) und der römische Kaiser Marc Aurel (121–180 n. Chr.). In der Moderne gab der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche ihm einen vollendeten Ausdruck in seiner Doktrin des Amor Fati, auf die er in seinen Schriften mehrmals Bezug nahm und die repräsentativ für seinen grundlegenden Blick auf das Leben war. Hier sind kurze Aussagen von allen drei Denkern, die dazu dienen sollen, in eines der zentralen Themen dieses Artikels einzuführen, das auch das Kernstück von Ein Kurs in Wundern bildet: Am Geist liegt’s (um Hamlet zu zitieren), nicht an der Welt. Wir beginnen mit Zenon:

In der Tugend liegt das Glück, denn Tugend ist der Geisteszustand, der das Leben in seiner Gänze harmonisch macht (unbekannte Quelle).

Epiktet definierte einen wahren Stoiker so:

… einer, der krank und dennoch glücklich ist, in Gefahr und dennoch glücklich, im Sterben liegt und dennoch glücklich, in der Verbannung und glücklich, in Ungnade gefallen und glücklich (deutsch vom Übersetzer).

Aus den Selbstbetrachtungen von Marc Aurel (Kröner Verlag, Stuttgart 1973):

Denke fortan bei allem, was dein Herz kränken will, daran, den Grundsatz anzuwenden: »Dies ist kein Unglück, aber es tapfer zu tragen ist ein Glück!« (4. Buch, Aphorismus 49)

Wenn wir … nur das, was in unserer Macht steht, für gut und böse halten, dann bleibt keinerlei Ursache übrig, mit Gott zu hadern oder Feind eines Menschen zu sein (6. Buch, Aphorismus 41).

Wenn du durch irgendetwas Äußeres gekränkt wirst, so quält dich (in Wahrheit) nicht dieses, sondern dein Urteil darüber. Es steht aber in deiner Macht, dies alsbald auszulöschen (8. Buch, Aphorismus 4).

Zum Abschluss zwei Zitate von Nietzsche, zuerst aus Die fröhliche Wissenschaft (Werke in sechs Bänden, Hanser Verlag, München/Wien 1980):

Amor fati: das sei von nun an meine Liebe! Ich will keinen Krieg gegen das Hässliche führen. Ich will nicht anklagen, ich will nicht einmal die Ankläger anklagen. Wegsehen sei meine einzige Verneinung! Und, Alles in Allem und Großen: ich will irgendwann einmal nur noch ein Ja-sagender sein! (4. Buch, Aphorismus 276).

Und in »Warum ich so klug bin«, einem Abschnitt aus Ecce Homo:

Meine Formel für die Größe am Menschen ist amor fati: dass man nichts anders haben will, vorwärts nicht, rückwärts nicht, in alle Ewigkeit nicht. Das Notwendige nicht bloß ertragen, noch weniger verhehlen …. sondern es lieben (Aphorismus 10).

Die stoische Weisheit, in einem disharmonischen Universum harmonisch zu leben, bedeutet, dass wir den Umständen in unserer Welt nicht die Macht geben, das Glück oder den Frieden unseres Geistes zu beeinträchtigen. Stattdessen bejahen wir die Macht des Geistes zu lieben angesichts des in der Welt herrschenden Hasses, der Verzweiflung und des Todes. Das ist vergleichbar mit dem Kurs, wenn auch die nichtdualistische Metaphysik fehlt, die das Fundament für die wahre stoische Reaktion auf den ansonsten sinnlosen Traum bilden würde, den wir Leben nennen. Die Ähnlichkeit der beiden Denksysteme, zwischen denen mehr als zweitausend Jahre liegen, ist verblüffend, nicht nur, was den Inhalt, sondern oft auch, was den Wortlaut selbst angeht.

Doch das Ego spricht zuerst, und aus diesem Grunde beginnen wir mit der von Groll erfüllten Einstellung, die das Ego gegenüber dem Leben und den herben Wechselfällen hat, die unser Leben hier kennzeichnen, was kaum der Haltung der Dankbarkeit entspricht, die, wie Jesus uns in seinem Kurs lehrt, eine Voraussetzung für das Erwachen aus dem Traum ist (z.B. Ü-I.195).

Noch ein letzter und wichtiger Hinweis, bevor wir uns auf unsere kleine Reise zur Wahrheit machen. Wie hier in der Einleitung klar impliziert ist, gilt es zu bedenken, dass diese Wahrheit vom Geist des Kurses zum Geist seiner Schüler fließt. Der Kurs ermutigt uns zu erkennen, dass wir in der Tat Geist sind, der entscheiden kann, und nicht die physisch sichtbare Person, die die illusionäre Identität unserer täglichen Erfahrung bildet. Sonst werden die Aussagen bestenfalls keinen Sinn ergeben und schlimmstenfalls hart und gefühllos erscheinen. Bedenken wir, wie ein Körper folgenden Satz lesen würde: »Er [jemand, der rechtgesinnt ist] lacht genauso über Schmerz und Verlust, Krankheit und Gram, Armut, Verhungern und den Tod« (Ü-I.187.6:4). Jesus erinnert uns daran, dass Gedanken nur für Körper gefährlich sind (T-21.VIII.1:1-2). Dem Geist können Illusionen nichts anhaben, und wie schon erwähnt, sind wir Geist und können gelehrt werden, dass das Selbst seine Wohnstätte über dem Schlachtfeld der Welt der Körper hat, die miteinander Krieg führen. Auf diese Weise können wir dem Leiden mit dem sanften Lachen des Begreifens begegnen, das heilt (Ü-I.187.6:5), weil es die Ursache des Leidens zum Geist zurückbringt, in dem allein die Aufhebung der schmerzerfüllten Wirkungen der Schuld liegt:

Es ist nicht leicht, den Witz wahrzunehmen, wenn deine Augen überall um dich herum seine schwerwiegenden Folgen sehen, aber ohne ihre geringfügige Ursache. Ohne Ursache sehen ihre Wirkungen tatsächlich ernst und fürwahr traurig aus. Doch sind sie nur die Folge. Und ihre Ursache ist es, die auf nichts folgt und die nichts als ein Witz ist (T-27.VIII.8:4-7).

Mit dieser Mahnung vor Augen, dass die Körperidentifikation der Fehler ist, können wir uns nun mit den Klagen befassen, die das Ego über die herbe Welt vorbringt und unser grausames Schicksal, hier zu leben.

Odium fati (Der Hass auf das Schicksal)

Wir alle irren durch die Welt nicht nur »ungewiss[…], einsam und in ständiger Angst« (T-31.VIII.7:1), sondern sind auch voll und ganz davon überzeugt, dass wir zu Recht glauben, ungerecht behandelt worden zu sein und es immer noch zu werden. Warum sonst würden wir, nachdem wir den Himmel verlassen haben, die Wahl treffen, als Körper geboren zu werden, wenn nicht, um zu beweisen, dass wir unschuldige Opfer einer kalten, grausamen und lieblosen Welt sind? Tatsächlich besteht der geheime Wunsch des Ego darin, zu beweisen, dass wir existieren, doch jemand anderen dafür verantwortlich zu machen. Zunächst unsere Brüder und dann Gott selbst. Wie Hiobs Frau ruft unser falschgesinntes Selbst aus: »Verfluche Gott und stirb!« Und nachdem wir die Welt der konkreten Körper gemacht haben, heißt unsere Parole von Geburt an: »Unsere Brüder seien (für unser Schicksal) verflucht und mögen sie statt unserer sterben!«

Im Übungsbuch beschreibt Jesus unser unglückliches Los im Leben mit einem treffenden Bild (Ü-I.166.5-6), das hier frei wiedergegeben werden soll: Wir hassen unser Schicksal (odium fati) und geben jedem und allem die Schuld an unserem Schmerz und Unglück, während wir sinnlos durch das Labyrinth der Dunkelheit irren, das wir unser Leben nennen. Wir sind uns der Vergeblichkeit bewusst, die uns umgibt, und nehmen wahr, wie unsere kleine Habe schwindet, während wir von Nirgendwo kommen, durch das Nirgendwo irren und nach Nirgendwo weiterwandern – mutterseelenallein in unserer Armut und Not. Wir scheinen traurige Gestalten zu sein, müde, geschwächt, in fadenscheiniger Kleidung und mit Füßen, die von dem steinigen Weg bluten, den wir niedergeschlagen und hoffnungslos entlanggehen. Es gibt niemanden, der sich nicht mit dieser erbärmlichen Parodie von dem Selbst identifizieren kann, das Gott als seinen Sohn schuf, denn es ist dieses falsche Selbst, das wir in unserem odium fati umarmen. Wir glorifizieren unser Elend, damit wir, um die Egomotivation der Existenz zu zitieren, die Welt und ihre Bewohner anprangern können, indem wir sagen: »Sieh mich an, mein Bruder, durch deine Hand sterbe ich« (T-27.I.4:6).

Diese Motivation ist das Markenzeichen des Egodenksystems des Hasses und stellt, wie ich meine, den schwierigsten Aspekt des Kurses für seine Schüler dar. Er rührt an den Kern aller besonderen Beziehungen: Durch den Angriff auf andere erfüllen wir uns unseren falschgesinnten Wunsch, der schrecklichen Last der Schuld zu entrinnen, die wir wegen des ontologischen Glaubens mit uns tragen, wir hätten uns von unserem Schöpfer und unserer Quelle getrennt. Wenn wir unsere Brüder in den Abgrund der Sünde stoßen (T-24.V.4), schwelgen wir in dem ebenso magischen wie wahnsinnigen Glauben, wir hätten die selbst verschuldete Opferung unserer sündenbehafteten Individualität vermieden. Die Perversität dieses Wahnsinns erreicht ihren Gipfel in einer Entscheidung, die wir alle treffen: Wir würden alles tun und selbst vor Leiden und Tod nicht zurückschrecken, um zu beweisen, dass ein anderer der Sünde schuldig ist, die wir insgeheim in den tiefsten Tiefen unseres Geistes hegen.

Was paradoxerweise wie odium fati aussieht, ist in Wirklichkeit »amor« fati, aber aus den völlig falschen Gründen. Es ist unsere Besonderheit, auf die Spitze getrieben, denn wir lieben unser Schicksal als misshandelte, verfolgte und leidende Opfer. Diese Erfahrung erlaubt uns, in Fieberträumen des Wahnsinns ein weiteres Mal (jubelnd) über unsere Brüder, über die Welt und letztlich über Gott zu triumphieren. Wir haben dem Schöpfer Paroli geboten, indem wir trotzig die Wirklichkeit der Trennung »nachgewiesen« haben, doch seiner zornentbrannten Strafe entronnen sind, die jetzt zu Recht jemand anderem gilt. Die Schuld des Geistes wird nun draußen in der Welt wahrgenommen, und wir behalten nur das Selbstkonzept des Gesichts der Unschuld (T-31.V.2:6). Es ist unser Leiden durch die Hand eines anderen, in welcher Form auch immer, das unsere Sündenlosigkeit für alle sichtbar begründet. Dem herrschenden Ego-Diktum des Hasses zufolge – ich oder du, töten oder getötet werden (H-17.7:11) – beweist die Schuld eines anderen, dass wir frei von aller Sünde sind und jener andere die Strafe verdient, von der wir insgeheim glauben, dass sie uns gebührt.

Nichtsdestotrotz ist dieser Traum (odium fati) nur eine Maske, die über das gestülpt ist, was der Kurs den geheimen oder ersten Traum nennt (T-27.VII.11-12; Die Gaben Gottes, S. 112): den »amor« fati des Ego. Schließlich hasst das Ego gern, weil sein unterschwelliges und konstantes Ziel Mord ist. Sein Fluch auf das Schicksal verbirgt die zugrunde liegende Anziehungskraft des Schmerzes, die als Motivation hinter seinem Leben im Körper steckt. Wie wir gelehrt werden, ist der Sinn und Zweck das Entscheidende (z.B. T-4.V.6:8-11), und der Zweck hinter dem Körper als Instrument von psychophysischem Schmerz besteht darin zu beweisen, dass wir existieren, während wir gleichzeitig andere zu den verursachenden Faktoren machen, die für unser Leiden verantwortlich sind. Diese verursachenden Faktoren können die Makroorganismen sein, die wir Homo sapiens nennen, die ansteckenden Mikroorganismen, die wir als Viren und Bakterien bezeichnen, unsere Gene oder die zahllosen Ereignisse auf der Welt, die auf unser unschuldiges und verletzliches Selbst einwirken.

Die gute Nachricht in diesem Morast der Schuld und des Todes lautet, dass das Egosystem zwar narrensicher, aber nicht Gott-sicher ist (T-5.VI.10:6). In den Traum ist immer der vom Heiligen Geist stammende goldene Faden der Hoffnung eingewebt, der Gedanke der Sühne, den wir bei der Trennung mit uns genommen haben und der uns daran erinnert, dass wir nur schlafen, während wir wach in Gott sind (T-10.I.2:1). In jedem scheinbar getrennten Fragment der Sohnschaft gibt es eine eingebaute Schmerzgrenze, eine Grenze unserer Fähigkeit, fehl-zuerschaffen (T-2.III.3:3). Wenn die Leidensfähigkeit ihren Höhepunkt und unsere Grenze erreicht, rufen wir: »Es muss einen besseren Weg geben« (T-2.III.3:5-6). Es muss einen anderen Weg geben, die Welt der Beziehungen und der Körper zu betrachten. Das erlaubt Jesus, unsere Albträume der Schuld, des Leidens und des Todes in die glücklichen Träume der Vergebung und des Friedens zu verwandeln. Odium (»amor«) fati wird jetzt zu einem aufrichtigen amor fati.

Amor fati: Sanfte Akzeptanz

Die Übungsbuchlektion 268 (»Lass alle Dinge genau so sein, wie sie sind«) deutet, richtig verstanden, auf diesen Wechsel von der Arroganz unserer Bitterkeit zur Demut unserer Dankbarkeit hin, die unsere Erlösung kennzeichnet. Wir sagen zu Gott:

Lass mich nicht versuchen, mich in deine Schöpfung einzumischen und sie zu kranken Formen zu verzerren. Lass mich gewillt sein, meine Wünsche von ihrer Einheit zurückzuziehen und sie so sein zu lassen, wie du sie schufst … Was kann mich erschrecken, wenn ich alle Dinge genau so sein lasse, wie sie sind?
Lass unsere Sicht heute nicht gotteslästerlich sein noch unsere Ohren auf lügnerische Zungen hören (Ü-II.268.1:2-3;6;2:1).

Die Lektion selber bezieht sich auf unsere Wirklichkeit als Gottes einer Sohn, doch mit seinem Ruf an uns, nicht gotteslästerlich zu sein, bittet uns Jesus implizit, die Welt, die wir wahrnehmen, als eine zu sehen, die die Wirklichkeit der Liebe spiegelt oder nach ihr ruft.

Diese Veränderung in unserer Selbstwahrnehmung ist charakterisiert durch einen Einstellungswechsel: weg vom Groll hin zu Akzeptanz, weg von der Bitterkeit hin zu Dankbarkeit. Unsere Egoreaktionen gleichen jenen von kleinen Kindern, die einen Wutanfall haben, wenn sie nicht ihren Willen bekommen: »Träume sind Wutausbrüche der Wahrnehmung, in denen du buchstäblich schreist: ›Ich will es so!‹« (T-18.II.4:1). »Ich will es so!« ist unser gerechtfertigter Aufschrei, wenn unsere wahrgenommenen Bedürfnisse nicht befriedigt werden – als Kinder in kleinen Körpern oder als Kinder in erwachsenen Körpern –, während wir glauben, wir seien völlig im Recht damit, über unsere ungerechte Behandlung verbittert zu sein. Daher warnt Jesus all seine kleinen Geschwister: »Hüte dich vor der Versuchung, dich als ungerecht behandelt wahrzunehmen« (T-26.X.4:1). »Wie töricht ist es«, würde er fortfahren, »darauf zu beharren, die schäbigen Kleider eines bedürftigen Kindes anzuziehen, wenn du in aufrechter Haltung neben mir stehen und dich daran erinnern kannst, wer du bist!« Dankbar lesen wir die folgenden Worte, mit denen unser älterer Bruder uns ermutigt:

Geh du erhobenen Hauptes hin in Herrlichkeit, und fürchte nichts Böses … Wir wollen den Sohn Gottes nicht durch Kleinheit in Versuchung führen lassen. Seine Herrlichkeit liegt jenseits davon, unermesslich und zeitlos wie die Ewigkeit. (T-23.Einl.3:1;5:1-2).

Das also ist unsere Wahl: Kleinheit oder Größe, die Blutrünstigkeit des mörderischen Egodenksystems oder die Herrlichkeit von Gottes unschuldigem Sohn. Wie wir unsere Welt betrachten, spiegelt die von unserem Geist getroffene Entscheidung, durch welche Augen wir die Welt sehen wollen: durch die Augen der Dankbarkeit oder jene der Bitterkeit: »Schau oder Urteil stehen dir zur Wahl, doch niemals beides« (T-20.V.4:7).

Wir lernen, für unser unfreundliches Schicksal dankbar zu sein, denn das, was in unserem Leben geschieht, sind die Lernsituationen, die wir für uns gewählt haben. Wenn es keine Welt außerhalb von uns gibt (z.B. Ü-I.132.4-6) und dies alles lediglich unser Traum ist, wie kann dann unser Geist nicht für die Umstände und Ereignisse verantwortlich sein, die uns scheinbar ungewollt widerfahren? Wer sonst könnte es sein? Gibt man dem Schauspieler die Schuld, wenn man das tragische Ende eines Theaterstücks nicht mag? Oder macht man eine Marionette für die Gewalt auf der Bühne verantwortlich, wenn sie eine andere Marionette erschlägt?

Fakt ist, dass der Geist, der entscheidet, die Drehbücher geschrieben hat, die wir unser Leben nennen, oder besser gesagt, der beobachtende Geist hat gewählt, welche der alten Drehbücher – die vor Anbeginn der Zeit geschrieben wurden – wir noch einmal anschauen (Ü-I.158.4). Anders ausgedrückt: Bevor wir die Entscheidung treffen, geboren zu werden, durchsuchen wir die holografischen Inhalte des Geistes – sein Depot von Schuld, Urteil und Tod – nach jenen Aspekten des Traums, die am besten dem Zweck des Ego dienen, unsere Existenz für alle sichtbar zu beweisen, während wir gleichzeitig unsere Unschuld vor einer Welt zur Schau stellen, die wir mit unserer projizierten Schuld übersät haben.

Wenn dem so ist, könnten wir dann wirklich die bitteren Klagen über unser unglückliches Los im Leben rechtfertigen? Es ist unser Traum, und wenn wir die Träumer sind, kann die Art und Weise, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen, nur durch die Entscheidung des Geistes verursacht werden. Denken wir an die folgenden erhellenden Worte aus dem Textbuch:

Einst warst du dir dessen nicht bewusst, was eigentlich die Ursache für alles sein muss, was die Welt dir ungefragt und ungebeten aufzudrängen schien. Einer Sache warst du dir sicher: Unter all den vielen Ursachen, die du als schmerz- und leidensbringend für dich wahrnahmst, war deine Schuld nicht (T-27.VII.7:3-4).

Schuld – genauer gesagt, die Entscheidung des Geistes, an Schuld zu glauben – ist die Ursache unserer Träume des Leidens und des Todes. Das entkräftet die kläglichen Versuche des Ego, jemand oder etwas anderes für unsere Erfahrung verantwortlich zu machen – ganz gleich, ob wir eine Person, defekte Chromosomen, giftige Keime oder die toxische Welt selbst anklagen –, denn die ganze Zeit über war unser Leiden die Wahl unseres Geistes. Nur wir können anderen Träumern die Macht geben, auf uns einzuwirken. Sie selbst haben keine. Lediglich der Glaube des Geistes verleiht der Illusion die Macht, uns zu verändern (siehe beispielsweise T-4.VI.1; T-7. VIII.5-7). In der folgenden Stelle wird deutlich, wie Jesus unsere wahnhafte Projektion auf andere beseitigt und uns die Verantwortung für unser Unglücklichsein zurückgibt, die in Wahrheit unsere eigene ist:

Das Geheimnis der Erlösung ist nur dies: dass du dir dieses selber antust … Denn du würdest gar nicht auf Figuren reagieren in einem Traum, von dem du wüsstest, dass du ihn träumst. Lass sie so hasserfüllt und so bösartig sein, wie sie nur wollen, sie könnten keine Wirkung auf dich haben, es sei denn, du versäumtest zu begreifen, dass es dein Traum ist.(T-27.VIII.10:1,5-6).

Dennoch besteht das Problem immer noch: Wir wissen nicht, dass wir träumen! Wie können wir eine Situation ändern, von der wir glauben, sie sei nicht von uns verursacht worden und darüber hinaus das Ergebnis von Kräften, die wir eindeutig nicht kontrollieren können? Denken wir noch einmal daran, was im Kurs über den Plan des Ego steht, uns gegen die Wahrheit zu verteidigen, dass wir Geist sind, der entscheidet und in jedem Augenblick wählen kann, sich an seine Identität als nichtphysisches Wesen zu erinnern:

Wer, wenn nicht du selbst, bewertet eine Bedrohung, beschließt, dass Entrinnen nötig ist, und errichtet eine Reihe von Abwehrmechanismen, um die Bedrohung zu verringern, die als wirklich beurteilt wurde? … Nach den Erfordernissen deines eigenen Planes jedoch musst du danach vergessen, dass du ihn gemacht hast, damit er außerhalb deiner eigenen Intention zu sein scheint, ein Geschehen außerhalb deines Geisteszustands, ein Ergebnis, das eine reale Wirkung auf dich hat, statt durch dich selbst bewirkt zu sein (Ü-I.136.4:1,3).

Die offensichtliche Frage lautet weiterhin: Wie gelangen wir von hier nach dort, von unserer Erfahrung als Körper, der als Opfer von einer kalten und grausamen Welt außerhalb von uns angegriffen wird, zu dem Geist mit seiner Entscheidungsmacht, der sich daran erfreut, sich von Kräften scheinbar jenseits seiner Kontrolle derart ungerecht behandelt zu fühlen? Amor fati ist die Antwort. Wir lernen, dass die Welt kein Gefängnis ist, »ein trockene[r] und staubige[r] [Ort], wohin hungernde und dürstende Kreaturen kommen, um zu sterben« (Ü-II.13.5:1), sondern eine Schule, in der wir dankbar die Lektionen des Glücks lernen können, die uns freudig die glücklichen Träume der Vergebung bringen werden, hinter denen die Wirklichkeit der Liebe jenseits aller Träume wartet, selbst jener der Vergebung. Wir nehmen nicht an den Leidens- und Todesträumen in der Welt teil, sondern sehen sie vielmehr als Wahl eines wahnhaften Geistes, gegen den wir uns jetzt entscheiden:

Die Sühne für dich selber anzunehmen heißt, den Traum eines anderen von Krankheit und von Tod nicht zu unterstützen. Das heißt, dass du nicht seinen Wunsch nach Trennung teilst und ihn nicht Illusionen gegen sich selbst richten lässt. Noch willst du, dass sie stattdessen gegen dich gerichtet werden (T-28.IV.1:1-3).

Wenn wir dies lernen, geben wir dem Traum der Welt (unserem »Schicksal«) nicht die Macht, die Liebe und den Frieden des Geistes zu beeinflussen. Wir stehen aufrecht da, über dem Schlachtfeld der Welt von Schuld und Hass, Angst und Schmerz. Das ist die wahre Bedeutung von Stärke:

Du wählst stets zwischen deiner Schwäche und der Stärke Christi in dir … Einfach dadurch, dass du nie die Schwäche nutzt, um deine Handlungen zu lenken, hast du ihr keine Macht gegeben (T-31.VIII.2:3,5).

Unter Jesu freundlicher und sanfter Führung lernen wir, unsere Schule zu lieben, nicht weil wir das Leiden masochistisch genießen, sondern weil einzig und allein die Erfahrungen in unserem Leben der Schlüssel zum Weg sind, der den Abgrund zwischen Hölle und Himmel überbrückt. Wer, der das weiß, könnte eine solche Chance nicht überschwänglich willkommen heißen und lieben, weil sie uns die Möglichkeit gibt, nach Hause zu finden? Nur die Wahnsinnigen, die immer noch glauben, dass die dualistische Welt der Körper und der scheinbaren Ereignisse wahr ist, weil ihre zugrunde liegende Ursache – der Glaube an die Wirklichkeit von Trennung und Schuld – »sowohl der Umsetzung als auch realer Wirkungen fähig« ist (T-27.VIII.6:3).

Amor fati! Das ist der freudige Ruf all jener, die danach streben, den Albtraum des Ego zu beenden und von seinen Träumen des Leidens und der Gehässigkeit zu erwachen. Wir akzeptieren glücklich das Leben, das wir gewählt haben, weil es der Weg nach Hause ist, und empfangen dankbar seine Lektionen, wie schmerzhaft für den Körper sie auch sein mögen. Wo wir einst einen Fluch sahen, spüren wir jetzt die tröstenden Flügel des Segens über uns, während wir mit Jesus unsere Reise nach Hause antreten:

Was könntest du nicht akzeptieren, wenn du nur erkennen würdest, dass alles, was geschieht, alle Ereignisse, vergangen, gegenwärtig und zukünftig, sanft geplant sind von dem einen, dessen einzige Zielsetzung dein Bestes ist? … Während du Todespläne schmiedetest, führte er dich sanft zum ewigen Leben (Ü-I.135.18:1,4).

Und worin besteht der »Plan« des Heiligen Geistes, um uns von der Hölle in den Himmel zu führen? In nichts anderem, als uns zu helfen, nicht unserer Bitterkeit über das Leben zu frönen. Während wir, wie ich hier ausgeführt habe, auf der Ebene des kollektiven Geistes verantwortlich für unsere Träume sind, ist es auf der praktischen Ebene unserer Alltagserfahrung hilfreicher, uns klarzumachen, dass wir für die Art und Weise verantwortlich sind, wie wir die Welt sehen. Wenn ich beispielsweise die Nachrichten anschaue, bin ich verantwortlich für meine Reaktionen auf die Ereignisse, nicht für die Ereignisse selbst. Wir werden gelehrt, dass Wahrnehmung eine Deutung und keine Tatsache ist (siehe zum Beispiel H-17.4), und lernen zu erkennen, dass die eine in allen unseren Erfahrungen enthaltene Lektion lautet, zwischen der Deutung des Heiligen Geistes und jener des Ego zu wählen. Das und nur das gibt dem Bedeutung, was ansonsten eine völlig bedeutungslose Welt ist. Verantwortlich zu sein für das, was wir sehen (T-21.II.2:3), heißt, die volle Verantwortung für unsere Reaktionen auf Ereignisse bzw. Interpretationen von Ereignissen zu akzeptieren, während wir auf einer anderen Ebene wissen, dass wir sie in unseren Traum gelegt haben zu dem rechtgesinnten Zweck, jene Lektionen zu lernen, die uns von allen Träumen befreien.

Es ist wichtig, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Anwendung der alten stoischen Weisheit, die wir in den Kursprinzipien finden, nicht beinhaltet, nicht aktiv zu werden oder auf Ereignisse zu reagieren. Die Frage ist nie, was wir tun, sondern mit wem wir es tun. Uns mit Jesus zu verbinden, uns also nicht länger mit dem Ego und seinem Denksystem der Bitterkeit und Verzweiflung zu identifizieren, führt zu der ruhigen Mitte des Geistes, von wo aus unser Verhalten liebevoll gelenkt wird: In der Stelle »Ich brauche nichts zu tun« (T-18.VII) heißt es:

Diese ruhige Mitte, in der du nichts tust, wird bei dir bleiben und dir mitten in jedem geschäftigen Tun, in das du ausgesandt wirst, Ruhe geben. Denn von dieser Mitte aus wirst du angeleitet werden, wie du den Körper ohne Sünde nutzen kannst (T-18.VII.8:3-4).

Wie schon erwähnt, sagt Jesus nirgendwo in seinem Kurs, wir sollten die Welt oder unsere Erfahrungen hier verleugnen (»eine besonders unwürdige Form der Verleugnung«, T-2.IV.3:11) oder nicht auf sie reagieren. Vielmehr machen wir uns bei unserer Reaktion seine nichturteilende Schau zu eigen, die jeden Teil der Sohnschaft ausnahmslos einschließt.

»Wir haben dennoch kein Anrecht auf unsere Bitterkeit«

Am Ende des Textbuchs sagt Jesus über die Versuchung:

Sei also wachsam gegenüber der Versuchung, indem du dich erinnerst, dass sie nur ein wahnsinniger und bedeutungsloser Wunsch ist, dich zu einem Ding zu machen, das du nicht bist … Sie will den heiligen Sohn Gottes davon überzeugen, dass er ein Körper ist, in das hineingeboren, was sterben muss, unfähig, dessen Gebrechlichkeit zu entrinnen, und durch das gebunden, was dieser ihn zu fühlen heißt (T-31.VII.14:1; T-31.VIII.1:2).

Ein Körper sein bedeutet, dass wir uns entscheiden, uns mit dem Zweck des Körpers zu identifizieren: Wir wählen ein Leben als ewiges Opfer, ein Selbstkonzept, das durch unsere berechtigte Bitterkeit gestützt wird, der zufolge wir durch die erbarmungslosen Hände einer Welt leiden, die darauf aus ist, uns zu verletzen. Doch Jesus warnt uns insbesondere vor solch einem Verfolgungswahn und erklärt, dass unsere Gedanken der Verletzung und Vergeltung nicht gerechtfertigt sind:

Heute lernen wir, an Dankbarkeit zu denken statt an Ärger, an Bosheit und an Rache. Alles ist uns gegeben worden. Wenn wir uns weigern, dies zu begreifen, haben wir dennoch kein Anrecht auf unsere Bitterkeit und eine Selbstwahrnehmung, die uns an einem Ort erbarmungsloser Verfolgung sieht, wo wir ohne Unterlass gepeinigt und herumgestoßen werden, ohne einen Gedanken oder eine Sorge für uns und unsere Zukunft. (Ü-I.195.9:1-3; Kursive v. Verf.)

Eine frühere Lektion bringt dies noch deutlicher zum Ausdruck, so deutlich in der Tat, dass das Ego nur, wenn es von seinem allerprimitivsten und mächtigsten Abwehrmechanismus der Verleugnung Gebrauch macht, gegen die lichterfüllte Wahrheit der Lektion angehen kann, indem es sie unter einer schwarzen Wolke des Vergessens verbirgt. Diese Wahrheit fragt: Wie kann unser Leben als tragisch angesehen werden, wenn der Geist, der entscheidet, es in der Tat selbst gewählt hat?

Doch ist er wirklich eine tragische Figur, wenn du siehst, dass er dem Weg folgt, den er gewählt hat, und sich nur darüber klar zu werden braucht, wer mit ihm geht, und seine Schätze zu erschließen braucht, um frei zu sein?
Das ist das von dir gewählte Selbst, jenes, welches du als Ersatz für die Wirklichkeit gemacht hast … Wo bleibt dann das Selbstmitleid? Und was wird aus der ganzen Tragödie, die du für den zu machen suchtest, für den Gott nur Freude vorgesehen hat? (Ü-I.166.6:3-7:1; 8:2,4-5).

Nun, da unser vor Selbstmitleid triefendes Ego mit seinen Wutausbrüchen ans Licht gebracht ist, können wir nicht länger den Lügen glauben, die uns davon überzeugen möchten, dass wir in der Gewalt von Dingen jenseits von uns sind, von Kräften, die wir nicht kontrollieren können (T-19.IVD. 7:4). Wir kreuzigen uns nur selbst (Ü-I.196), und da unser Geist Träume der Kreuzigung gewählt hat, in denen er den zugrunde liegenden Traum verschleiert, dass er der Kreuziger anderer ist, kann dieser selbe Geist auch die glücklichen Träume der Dankbarkeit wählen, die zum Mittel des Erwachens werden. Diese Träume bieten die Vergebung an, mit der andere von der Last der Schuld befreit werden, die wir ihnen auferlegt haben, als wir ihre Heiligkeit opferten, um das in Fieberträumen gesetzte Ziel zu erreichen, die Heiligkeit nur als unsere eigene zu beanspruchen. Doch nun akzeptieren wir voller Dankbarkeit, dass Gottes heiliger Segen auf allen seinen Söhnen ruht und niemanden von Christi tröstendem Schutz ausschließt, dem Selbst, das Gott als eins mit sich schuf.

Sage Dank so, wie du ihn empfängst. Sei frei von aller Undankbarkeit jedem gegenüber, der dein Selbst vollständig macht. Und aus diesem Selbst wird niemand draußen gelassen (Ü-I.197.9:1-3).

Diese Dankbarkeit ist aus der Einsicht geboren, dass nichts anderes als der Zweck, den der Geist verfolgt, den Ereignissen und Umständen unserer Erfahrung Bedeutung gibt. Plötzlich hat unser Leben Sinn, denn wir erinnern uns daran, dass wir hier sind, um zu lernen, dass wir nicht an diesem freudlosen Ort wohnen, sondern in dem Himmel, in den Gott uns bei unserer Schöpfung setzte (T-6.II.6:1-3).

Amor fati: Dankbarkeit uns selbst gegenüber

Doch nicht Gott und Jesus brauchen unsere Dankbarkeit, sondern wir. Die wahre Bedeutung unserer Dankbarkeit ist, unserem Geist, der entscheidet, dafür zu danken, dass er es gewählt hat, die Lektionen der Vergebung für das zu lernen, was niemals geschehen ist, damit wir endlich nach Hause gehen können. Aus diesem Grunde sagt Jesus zu uns:

Ich brauche keine Dankbarkeit, du aber musst deine geschwächte Fähigkeit, dankbar zu sein, entwickeln, sonst kannst du Gott nicht würdigen. Er bedarf deiner Würdigung nicht, aber du bedarfst ihrer. Du kannst nicht lieben, was du nicht würdigst … (T-6.I.17:1-3).

Wir können nicht lieben, was wir nicht würdigen! Wir würdigen nicht nur unsere Brüder, die uns sowohl den falsch- wie auch den rechtgesinnten Inhalt unseres gespaltenen Geistes zeigen, indem sie denselben Weg wie wir gehen, sondern noch wichtiger, wir erkennen endlich die Macht unseres Geistes wieder und würdigen sie über alles. Frei von der Last, in einer ungerechten und unfreundlichen Welt zu leben, sind wir schließlich imstande, die Liebe zu bejahen, die wir verraten haben, als wir die besondere Liebe und den besonderen Hass des Ego anstelle der Liebe unserer Quelle wählten und uns für nichts statt für das Alles unseres Selbst entschieden. Dieselbe Macht des Geistes, durch die die Entscheidung getroffen wurde, zu verletzen und zu hassen – uns, Gott und die Welt –, nehmen wir wieder als unser Eigen in Anspruch, und so sind wir von den Fesseln der Schuld erlöst, um noch einmal zu wählen: »Das ist die gütige Wahrnehmung des Heiligen Geistes von der Besonderheit; so verwendet er das, was du gemacht hast, zum Heilen statt zum Schaden« (T-25.VI.4:1).

Wir beginnen, die Wahrheit zurückzugewinnen, indem wir unsere Wahrnehmung von denen ändern, die wir außerhalb des Kreises der Sühne halten wollten (T-14.V):

So wollen wir denn unsere Brüder ihr müdes Haupt an unsere Schulter lehnen lassen, während sie eine Weile ruhen. Wir sagen Dank für sie. Denn wenn wir sie zu jenem Frieden weisen können, den wir finden möchten, dann öffnet sich der Weg uns endlich. Eine alte Tür springt wieder auf, ein lang vergessenes Wort erschallt erneut in unserer Erinnerung und nimmt an Klarheit zu, sobald wir wieder willens sind, zu hören (Ü-I.195.7).

Das Wort der Sühne war in unserem Geist, der die Entscheidung trifft, lange verschüttet, geschützt von den überzeugenden Argumenten des Ego, dass unser geistloser (sprich: körperlicher) Zustand wirklich sei. Doch durch die sanfte Führung unseres sanften Lehrers sind wir nun von der Wahrnehmung eines grausamen Schicksals, das unseren Hass rechtfertigt, zu der Sicht gelenkt worden, dass die Welt das liebevolle Mittel für unsere Rückkehr ist. Freudig gehen wir durch die uralte Tür, die von der Welt in den Geist führt und zu dem Zuhause, das wir nur in unseren Träumen verlassen haben.

Ohne die Schritte bei dieser Rückkehr zu überspringen – was zur Verleugnung unserer hasserfüllten Gefühle und schmerzhaften Erfahrungen führen würde, dem Markenzeichen des odium fati –, erfreuen wir uns an der geheilten Wahrnehmung einer Welt, die von unseren Projektionen gereinigt ist. Dankbarkeit erfüllt unser Herz, wenn der Geist, der falsch gewählt hat, durch unsere Vergebung befreit und schließlich imstande ist, seinen rechtmäßigen Platz als Gestalter unseres Schicksals einzunehmen, dem Heim der Gabe aller Gaben: amor fati. Die Welt wird zu einem Ort der Freude, an dem wir die früheren Objekte unseres Ärgers »plötzlich verwandelt sehen aus einem Feind in einen Erlöser und aus dem Teufel in den Christus« (Ü-I.161.12:6). Wir stehen abseits der Raum-Zeit-Welt der Körper und betrachten als Wahrheit nur dasjenige, was uns von den tyrannischen, schuldgetriebenen Kräften des Ego befreit, während wir das Falsche als all das wahrnehmen, was uns in Träumen von Angst und Tod festhält.

Hören wir noch einmal Marc Aurel, der die Lektionen des Übungsbuchs um zweitausend Jahre vorweggenommen hat und dessen Lehren von der Bedeutung her Jesu Worten im Textbuch so ähnlich sind: »Wenn du jemandem begegnest, so erinnere dich daran, dass es eine heilige Begegnung ist« (T-8.III.4:1):

Morgens früh dir zu sagen: Ich werde mit einem zudringlichen, undankbaren, falschen, missgünstigen, unfreundlichen Menschen zusammentreffen … ich kann von keinem von ihnen Schaden erleiden. Denn in Schande kann mich keiner stürzen. Ich kann auch meinem Verwandten nicht zürnen oder ihm feind sein (2. Buch, Aphorismus 1).

Ob durch einen römischen Kaiser oder unseren älteren Bruder ermahnt, öffnen wir unsere Augen jeden Morgen froh zu einem Tag der Dankbarkeit, die geboren ist aus dem Gedanken an die tausend Jahre, die wir auf unserer Reise einsparen, wenn wir nur den glücklichen Gedanken willkommen heißen, dass unsere Reaktionen auf die Ereignisse scheinbar außerhalb von uns lediglich ein Ausdruck der Entscheidung unseres Geistes sind. Wir werden von unserem projizierten Hass befreit und behalten nur die Liebe, die uns schuf. Die Welt empfängt uns nicht länger mit den Verwüstungen des Schicksals, sondern heißt die gütige Vergebung unserer besonderen Partner willkommen, während unser Herz angesichts des demütigen Lieds der Dankbarkeit frohlockt, das Jesus hier für uns singt:

Oh Vater, Dank sei dir für diese Gaben, die wir miteinander fanden. Hier sind wir erlöst. Denn hier ist jener Ort, an dem wir uns verbanden; und von diesem Ort der heiligen Verbindung kommen wir zu dir, weil wir die Gaben, die du gabst, erkannten und nichts anderes haben wollten. (Die Gaben Gottes, S. 111)

Wir schließen mit einer Wiederholung der Worte Nietzsches aus Ecce Homo, die uns noch einmal aufrufen, die uralte Stimme der Weisheit zu hören:

Meine Formel für die Größe am Menschen ist amor fati: dass man nichts anders haben will, vorwärts nicht, rückwärts nicht, in alle Ewigkeit nicht. Das Notwendige nicht bloß ertragen, noch weniger verhehlen …. sondern es lieben (Aphorismus 10).

Jesus ruft uns auf ähnliche Weise zu: »Wähle mich als deinen Lehrer und lass mich dich lehren, dass dein Leben eine Schule ist, damit du lernen kannst, deine Lebensumstände dankbar willkommen zu heißen. Komm zu mir und akzeptiere die Lektionen, die dich auf den Flügeln der Vergebung nach Hause tragen, während das Lied der Liebe in deinem Herzen erklingt.«

Freudig hören wir endlich zu und lieben zuletzt die Welt, die wir im Hass ersonnen haben, eine Welt, die uns schließlich zu jener Liebe geführt hat, die uns in ihrer Liebe hervorgebracht hat. Wir sind nichts als dieses Selbst der Liebe, denn amor fati hat uns in amatores dei (Liebende Gottes) verwandelt: unsere Wirklichkeit als Gottes Sohn, dem Christus, den Er als eins mit sich in vollkommener Freude schuf.

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