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Rundbrief August 2016

Das Wunder – Ende der Destruktivität

Margarethe Randow-Tesch

Nachdem Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, die Barbarei des Ersten Weltkriegs miterlebt hatte, kam er zur Auffassung, dass es in Menschen neben dem Lebenstrieb auch so etwas wie einen Todestrieb geben müsse, eine aggressive, dunkle Anlage, die auf sinnlose Zerstörung und Sterben aus sei, und erschütterte damit ein allzu oberflächliches und optimistisches Menschenbild. Zivilisatorische Bemühungen und Moral sind stets darauf gerichtet, das zerstörerische Potenzial in Menschen in Schach zu halten. Warum bräuchte man sonst Ge- und Verbote? Wie aber allein der Blick auf die europäische Geschichte der letzten hundert Jahre zeigt, hat sich in den kollektiv legitimierten Gewaltausbrüchen der Kriege und Genozide dieser Stoff immer wieder Bahn gebrochen, um anschließend eine Zeitlang im Untergrund zu verschwinden und dann in irgendeiner neuen Form wieder aufzutauchen. Es ist riskant zu glauben, dass Destruktivität ein Problem Einzelner oder bestimmter Gruppen sei. Wir sollten auch nicht glauben, dass es eine Rangordnung in Destruktivität gebe. Und nicht zuletzt ist es riskant zu glauben, Destruktivität ließe sich durch irgendwelche Dinge in der Welt wirklich erklären oder abschaffen. Diese drei Irrtümer führen im Gegenteil dazu, dass sie geschützt wird und damit erhalten bleibt.

Wenn wir sie wirklich verstehen und heilen wollen, müssen wir sie neu definieren. Destruktivität ist unbewusstes Denken, und zwar in jedem: »all der grausame Hass, das Bedürfnis nach Rache und die Schmerzensschreie, die Angst zu sterben und der Drang zu töten, die bruderlose Illusion und das Selbst, das allein zu sein schien im ganzen Universum« (B-2.8:1). Sie ist also nicht primär die Handlung als solche oder eine Gegenreaktion auf die Handlungen anderer Menschen – sprich all das, was unsere Sinne uns zeigen und wofür wir Begründungen aus der Schublade ziehen –, sie ist aus dem Unbewussten durchbrechendes, zeitloses Denken, das auf Angst (Selbstverurteilung bzw. Selbsthass) basiert. Wenn wir unwissentlich darin investieren, motiviert dieses Denken unsere Wahrnehmung und unser Handeln. Oder wie es im Kurs heißt: »Nur der Geist ist des Irrtums fähig. Der Körper kann nur dann falsch handeln, wenn er auf Fehlgedanken reagiert« (T-2.IV.2:5). In Handlungen gibt es Rangordnungen – von kleinen Unfreundlichkeiten bis hin zu barbarischen Angriffen –, im Denken nicht. Destruktives Denken ist immer gleichbleibend zerstörerisch, selbst wenn es sich an der Oberfläche nicht als solches zeigt. Verhalten in der Welt zu kontrollieren ist zweifellos notwendig und hilfreich, aber leider nicht heilend, weil die Ursache bleibt. Wir können auch nicht die Destruktivität anderer heilen, sondern nur den Glauben an unsere eigene. Auf diese (passive) Weise helfen wir anderen, ihren Glauben neu zu bewerten und eine andere Wahl zu treffen.

Der Glaube an Destruktivität ist ein inhärenter Bestandteil des Egodenksystems, das der Welt zugrunde liegt, und daher heißt es im Kurs: »Menschen, die Angst haben, können bösartig sein« (T-3.I.4:2). Diese Angst im Denken beruht auf einem fantasierten Selbstangriff, der ein schreckliches Selbstbild der Kleinheit und des Mangels entstehen lässt, mit dem wir uns identifizieren; und das teilen wir alle miteinander. Aber wir teilen auch das heilende Licht der Vernunft miteinander, das die einzig wahre Eigenschaft des Geistes ist und das Ende der Angst einläutet.

Das Erste, was wir auf dem Wege der Heilung lernen müssen zu verstehen, ist, dass jeder sich vor seinem eigenen Selbstbild entsetzlich fürchtet und es aus diesem Grunde nicht wahrnehmen geschweige denn als seine eigene fehlerhafte Wahl anerkennen kann. Stattdessen hält er/sie dieses Bild für die Wahrheit und versucht, sich dagegen zu schützen, indem er anderen die Schuld daran gibt. Jeder reagiert nur auf seinen eigenen fantasierten Selbstangriff. Allein dieses kleine bisschen Weisheit macht uns, im Alltag praktiziert, mit uns selbst und anderen verständnisvoller, geduldiger und gütiger, aber auch klarer und weniger verstrickt. Wenn wir uns also von dem destruktiven Glauben an das Egodenksystems, wie es im obigen Zitat dargestellt wurde, befreien und die Vernunft wiederfinden wollen, müssen wir uns seiner bewusst werden. Und das kann nicht im Sinne eines moralgetränkten Gut-und-Böse-Schemas erfolgen, das zu neuer Scham, Schuldgefühlen und Schuldzuweisungen führt.

Es kann nur im Sinne einer ruhigen und unendlich geduldigen Aufklärung geschehen, die keine Angst, sondern Aha-Erlebnisse und am Ende Erleichterung erzeugt, denn wir lernen, dass wir keine Wahrheit betrachten, sondern Fantasien. Das ist die Funktion, die dieser Kurs in unserem Leben innehat. Das ist auch die Funktion seines Autors Jesus als unserem inneren Lehrer oder Therapeuten, der die Destruktivität des Ego in der Welt weder klein redet noch unüberwindlich aufbläst, sondern der völlig außerhalb des Systems steht und uns verständlich macht, was das Ego ist: eine – verzweifelt wiederholte – Fehlentscheidung, unsere miteinander geteilte Unschuld des Geistes zu vergessen und Fantasien des Unterschieds und der Besonderheit (»die bruderlose Illusion«, »das Selbst, das allein im Universum ist«) mit der Macht unseres Glaubens auszustatten. Der so erzeugte Schmerz des Alleinseins, der Unwürdigkeit und der Erwartung von Angriffen muss unerträglich sein. Das ist die eigentliche Quelle der Destruktivität, und sie lässt sich innerhalb des Denksystems, das sie erzeugt, nie heilen. Diesem Zweck aber dient die Welt: Sie soll den Schmerz in Schach halten, indem sie uns Feinde/Freunde und Schuld draußen sehen lässt, und Rechtfertigung für Angriffe liefert.

Wir erkennen diesen Zweck, wenn wir auf den Ereignissen in der Welt wie auf einer Bananenschale ausrutschen. Das Geheimnis ist: Wir können nur auf unserer Investition in unsere eigenen Angstgedanken ausrutschen, und dafür gibt es ein Heilmittel: »Diesen schrecklichen Fehler über dich berichtigt das Wunder so sanft, wie eine liebende Mutter ihr Kind zur Ruhe singt. Ist es nicht ein Lied wie dieses, was du hören möchtest? Würde es nicht all das beantworten, was du zu fragen gedachtest, und sogar die Frage bedeutungslos machen?« (B-2.8:2). Es ist nicht möglich, mit dem Ego aus eigener Kraft (die die Kraft des Ego ist) fertigzuwerden, indem wir dagegen ankämpfen oder es ändern wollen, weder im Innern noch im Äußeren. Es ist eine Fantasie des Geistes, die uns lieb und teuer ist! Sie endet, wenn wir sie nicht mehr wollen. Und wir wollen sie nicht mehr, wenn wir sehen, welchen sinnlosen Schmerz sie bringt. Daher brauchen wir den Glauben an das Ego nur mit großer Bereitwilligkeit und Aufrichtigkeit in uns selbst anzuschauen, mit Jesus, dem Licht der Vernunft von außerhalb des Systems, an unserer Seite. Statt uns im Stoff draußen zu verstricken, wird der Stoff im Innern transparent und als Irrtum aufgedeckt. Das ist Heilung. Der Alltag mit seinen komplexen Ereignissen, Beziehungen und Situationen ist die Schule, in die wir als Geist gehen, bis wir die Lektion der Einfachheit gelernt haben: Viel wurde seit Anbeginn der Zeit gesehen, aber nichts ist geschehen. In dem Prozess des Beiseitetretens von unseren eigenen Illusionen liegt die Befreiung für alle: »Das ist die Art, wie die Erlösung wirkt. Während du zurücktrittst, tritt das Licht in dir hervor und umfasst die Welt ... In Leichtigkeit und Lachen ist die Sünde vergangen, weil ihre wunderliche Absurdität gesehen wird« (Ü-I.156.6:1).

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